O s t e o p a t h i e

Jan Assmann 

Stephan Hillesheimer 


Philosophie der Osteopathie

In der Osteopathie geht es immer und immer wieder um Dynamik und Bewegung.

Dynamik und Bewegung sind die Motoren für das gute Funktionieren unseres Skeletts, unseres Organsystems, unseres Gefäßsystems, unseres Nervensystems und unserer Faszien.

An Orten mit wenig Dynamik und Bewegung in unserem Körper gibt es auch keine gute Funktion.

 

Ein gutes Beispiel dafür ist unser Dünndarm ... er ist im Idealfall immer in Bewegung.

Durch seine Peristaltik bewegt er die aufgenommene Nahrung vorwärts, vermischt die Nahrung mit den Stoffen, die unser Essen in wertvolle Nährstoffe spalten und sorgt für deren Aufnahme in die Blutbahn.

 

Ist unser Dünndarm nun träge ... also ohne Dynamik und Bewegung ... kommt unsere Nahrung nur langsam voran.

Es beginnen Gärungsprozesse, die viel Luft produzieren, die Nährstoffaufnahme wird verlangsamt.

Unser Körper wird nicht mehr gut versorgt. Unsere Leistungsfähigkeit leidet.

 

Die entstandenen Gärungsprozesse verursachen Entzündungen an der Darmwand, die den Darm als unser größtes Immunorgan schwächen ... wir werden schneller krank ... und diese ganze Unbeweglichkeit führt nun auch noch durch die Aufhängungen des Darms zu hohen Spannungen und Bewegungseinschränkungen an der Lendenwirbelsäule, am Becken und an der hinteren Rumpfwand ... und zu Schmerzen und Bewegungseinschränkungen.

 

Die Beweglichkeit des knöchernen Beckens, die eigentlich die Beweglichkeit des Darms antreiben sollte, fällt aus.

Die Faszien, die von hier aus durch den ganzen Körper laufen, geraten unter hohe Spannung ... bis hinauf zur Halswirbelsäule. Es kommt zu Wirbelblockierungen, die unsere Bewegung und Aufrichtung des Rumpfes einschränken und über einen längeren Zeitraum Schmerzen verursachen.

Sie bekommen Kopfschmerzen, können sich nicht mehr gut umdrehen ... und die Ursache dafür liegt im Darm.

Eigentlich verrückt ... nicht wahr?  Aber wenn man die genaue Anatomie betrachtet ... völlig logisch.

 

So ist es in der Osteopathie wie in der Architektur ... "Form follows function" (Mies van der Rohe - Architekt)

... die Form folgt der Funktion.

 

Die Dynamik des Inhalts sorgt für die Dynamik der Hülle ... des Knochengerüsts ... und eben auch umgekehrt.

Unser Körper ist wie ein Haus. Das Haus gibt uns die Form ... wie wir darin leben, gibt uns die Dynamik.

Ist das Haus zu starr, gibt es im Inneren des Hauses auch keine Bewegung. 

Leben wir ohne Bewegung im Inneren des Hauses, so ist auch die Hülle des Hauses starr und ohne Bewegung.

 

Hier setzt nun die Osteopathie an. Sie versucht, das Gleichgewicht zwischen Beweglichkeit, Dynamik und guter Funktion wieder herzustellen oder zu verbessern. Dazu bedient sie sich verschiedenster Behandlungstechniken aus dem parietalen, viszeralen und kraniellen Bereich der Osteopathie.

Je länger sich in unserem Körper ein Fehlfunktion organisieren konnte, desto länger und umfangreicher ist dann natürlich auch deren Behandlung.

 

Sie sehen ... unser Körper ist ein kleines Wunderwerk ... und ein sehr sensibles System, daß durch äußere Einflüsse schnell aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann. Diese Ungleichgewichte möglichst wieder auflösen zu können, ist die Aufgabe und der Therapieansatz der Osteopathie.

 

Dabei kann und wird die osteopathische Behandlung allerdings nie ein Versprechen auf Heilung geben können.

Manche Fehlfunktionen haben schon so lange Bestand, daß sie nur sehr schwer oder gar nicht aufgelöst

werden können.

Andere Fehlfunktionen haben eine rein organische Ursache oder es liegt eine weitreichende Verletzung einer Struktur vor ... diese bedürfen dann einer unbedingten ärztlichen Abklärung.


Geschichte der Osteopathie

Der amerikanische Arzt Dr. Andrew Taylor Still (1828 – 1917) entwickelte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein neues Verständnis von Gesundheit und Krankheit und betrachtete dabei den Menschen als Einheit aus Körper, Geist und Seele. Nach intensiven Anatomiestudien war er der Überzeugung, dass der Mensch als Teil der Schöpfung alle Möglichkeiten der Gesundung in sich selbst trägt.

Vorraussetzung dafür war für ihn eine gute Beweglichkeit und Dynamik in allen Körperbereichen. Eine hervorgehobene Rolle sah er dabei vor allem in der Ver-und Entsorgung des Gewebes durch Blut- und Lymphflüssigkeit bei intakter Nervenversorgung. Ziel seiner Untersuchung und Behandlung war es daher, nur mit den Händen Bewegungseinschränkung im Gewebe aufzuspüren, diese zu beseitigen und dann den Körper mit einer verbesserten inneren Beweglichkeit sich bei der eigenen Heilung selbst zu überlassen.

Ein entsprechender Satz von Dr. Still sei dafür zitiert: „Find it, fix it, leave it“. 

Diese neue Herangehensweise in der Behandlung von Menschen stellte er als neue Form der Medizin (die Osteopathie) im Jahr 1874 der Öffentlichkeit vor und gründete 1892 in Kirksville, Missouri, USA, die American School of Osteopathy (heute das Kirksville College of Osteopathic Medicine).

 

 

Seine Osteopathie fand großen Zuspruch. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde sie in immer mehr Bundesstaaten rechtlich anerkannt. Neue Colleges entstanden und bildeten zunehmend mehr Studenten zu Osteopathen aus. Gleichzeitig gab es massive Bestrebungen der Ärzteverbände, die Osteopathie einzuschränken. Erst in den 1960er Jahren wurde dieser Streit beigelegt. Seitdem gilt die Osteopathie in den USA als allgemein anerkannt, das Studium der Osteopathie ist eine volle akademische Ausbildung. Derzeit gibt es in den USA mehr als 20 osteopathische Universitäten mit staatlich anerkanntem Abschluss. Heute praktizieren etwa 54.000 Osteopathen in den USA ihren eigenständigen Beruf. Sie führen den Titel D.O., Doctor of Osteopathy, und sind Ärzten (Medical Doctors, MD) gleichgestellt. Daher verschreiben Osteopathen in den USA  Medikamente, spritzen und operieren. In amerikanischen Krankenhäusern arbeiten Osteopathen und Ärzte miteinander. 

In Europa nahm die Osteopathie eine andere Entwicklung.

Ein Schüler Dr. Stills, der Engländer Dr. John Martin Littlejohn, brachte die Osteopathie auf den alten Kontinent.

Hier entwickelte sich die Osteopathie als rein manuelle Form der Medizin weiter. In London gründete Dr. Littlejohn 1917 die bis heute existierende British School of Osteopathy. Derzeit kann man in England Osteopathie an drei Fachhochschulen studieren. Der Osteopath ist dort seit 1993 ein rechtlich anerkannter Gesundheitsberuf. In Belgien und Frankreich zählt die Osteopathie zu den allgemein anerkannten Formen der Medizin. Praktiziert wird die Osteopathie in nahezu allen europäischen Ländern.

 

 

Hatte sich Dr. Still vor allem mit dem Bewegungsapparat, also mit Knochen, Gelenken, Muskeln und Sehnen beschäftigt, vor dem Hintergrund, dass nur eine freie Beweglichkeit dieser auch eine freie Versorgung der Gewebe gewährleisten kann, entwickelten andere Osteopathen das Konzept der Osteopathie fort.

Ein weiterer Schüler von Dr. Still, Dr. William Garner Sutherland (1873 – 1954), beschäftigte sich jahrelang mit der Anatomie des Schädels, insbesondere mit den Schädelnähten und deren Ausformung.

1939 stellte er das Phänomen der primären Respirationsbewegung vor. Dabei handelt es sich um eine sehr feine, eigenständig pulsierende Bewegung. Sie kann am Schädel, am Steißbein, aber auch anderen Strukturen des Körpers erspürt werden und steht nicht im Zusammenhang mit dem Herzschlag oder der Atmung.

Die primäre Respirationsbewegung bildete fortan für Osteopathen ein wichtiges Instrument zur Diagnose und Therapie.

Sutherland erweiterte damit die Osteopathie um die Osteopathie im kraniellen Bereich.

 

Eine zusätzliche Ergänzung erfuhr die Osteopathie in den 1980er Jahren.

Die französischen Osteopathen Jean-Pierre Barral und Jacques Weischenck beschäftigen sich ausführlich mit den inneren Organen und wie diese osteopathisch untersucht und behandelt werden können und erweiterten die Osteopathie um dem sogenannten viszeralen Bereich.

Text zur Geschichte der Osteopathie in Anlehnung an den Text unseres Berufsverbandes VOD e.V. - www.osteopathie.de